Kurz vor dem 80. Geburtstag erschien eine Biografie über Gerhard Winkler. Der Autor, Dr. Stephan Pflicht, hatte damals diese Anekdotensammlung zusammengestellt:

 

Stephan Pflicht - Anekdoten zu den Noten

 

Heiteres aus dem Leben und Schaffen von Gerhard Winkler

 
Chianti-Lied, Titelblatt

So unglaublich es heute auch klingen mag: Gerhard Winkler und sein Textdichter Ralph Maria Siegel hatten große Mühe, für ihr Lied "Ja, ja, der Chianti-Wein" einen Verlag zu finden. Keiner wollte es haben. Man beanstandete, "Chianti" sei viel zu schwer auszusprechen und das Lied - halb Tarantella, halb Tango - für die Tanzkapellen nicht geeignet. Erst als der Verleger Will Meisel erfuhr, daß der bekannte Tenor Herbert Ernst Groh eine Schallplattenaufnahme des "Chianti-Liedes" machen wollte, erklärte er sich bereit, das Werk zu drucken. Dann aber meinte der Produzent: "Ein Lied macht noch keine Schallplatte! Wir brauchen noch so was Ähnliches für die B-Seite." "Kein Problem", sagte Gerhard Winkler, "ich habe da etwas Geeignetes in der Schublade." Er eilte zu seinem Textdichter Ralph Maria Siegel und improvisierte einige Melodien. Bald war das richtige gefunden, und Ralph Maria Siegel dichtete: "Es war einmal ein Märchenprinz ...". "Ganz hübsch", meinte Gerhard Winkler, "aber die wollen doch was Italienisches ...". Daraufhin schrieb Ralph Maria Siegel: "Es war an einem Frühlingstag im sonnigen Sorrent ...". Herbert Ernst Groh hat dann den Tango "Frühling in Sorrent" zusammen mit dem "Chianti-Lied" aufgenommen, und das Besondere an dieser Schallplatte war, daß nicht nur die A-Seite mit dem "Chianti-Lied", sondern auch die so spontan entstandene B-Seite gleichermaßen große Erfolge und Evergreens wurden.

 

 

Bei Gerhard Winkler nimmt man immer an, er habe vorwiegend italienische Lieder komponiert. In Wahrheit finden sich in seinen Werken auch viele andere nationale Farben. So schrieb er zum Beispiel mehrere argentinische Tangos, mit denen er schon in den dreißiger Jahren erfolgreich war. Damals hatte er gerade unter dem Pseudonym G. Herman den Tango "El Paraiso" veröffentlicht. Ein Musikerkollege zeigte ihm die Noten dieses Tangos und gab Gerhard Winkler, der damals noch am Anfang seiner Karriere stand, den gutgemeinten Rat: "So was müßten Sie mal schreiben, Herr Winkler, das kommt an! Damit kann man sich einen Namen machen und viel Geld verdienen!" Der Musiker konnte nicht ahnen, daß dieser Tango von Gerhard Winkler stammte.

Der kleine Postillon - Titelblatt
Gerhard Winklers Textdichter Ralph Maria Siegel erzählte immer besonders gern, wie sie ihr Lied "Der kleine Postillion" dem Verleger schmackhaft gemacht haben: "Wir hatten gerade dieses Lied geschrieben und pfiffen es dauernd während einer Taxifahrt zum Kölner Sender unserem Freund und Verleger Wilhelm Gabriel vor, bis er interessiert fragte: "Was pfeift Ihr denn da?" Wir erklärten ihm, dies sei unser neustes Lied, und wir hätten dafür auch schon einen Verleger. Hierauf wurde er ganz verrückt nach unserem "Kleinen Postillion" und bestürmte uns, ihm zuliebe die Vereinbarung rückgängig zu machen und das Lied in seinen Verlag zu geben. In Wahrheit hatten wir das Lied noch keinem Verleger vorgespielt, aber unsere List war erfolgreich. So schnell hatten wir noch nie ein Lied an den Mann gebracht."
   
Unmittelbar nach dem Kriege herrschte überall in Deutschland große Not. Auch Gerhard Winkler hungerte und fror in seiner Berliner Wohnung. Da läutete es, und an der Tür stand eine junge Frau, die ihm als dem berühmten Komponisten erfolgreicher Italien-Lieder einen selbstverfaßten Text mit dem Titel "Die Gondeln am Lido" zur Vertonung anbot. Sie stellte sich als Tochter eines Bäckermeisters vor, und, hereingebeten, packte sie auch gleich ein Brot und frische Brötchen aus. Fröstelnd bemerkte sie: "Bei Ihnen ist es aber schrecklich kalt!" "Kein Wunder", sagte Gerhard Winkler, "ich habe nämlich keine Kohlen." "Dem Manne kann geholfen werden", sagte sie lachend, "ich werde Ihnen welche bringen." "Das wird nicht viel nützen", entgegnete Gerhard Winkler, "denn ich habe auch keinen Ofen." Sie versprach, auch dafür zu sorgen. Und tatsächlich kamen bald darauf ein Ofen und auch Kohlen. In einer warmen Stube, gut versorgt mit frischen Brötchen, komponierte dann Gerhard Winkler das Lied von den Gondeln am Lido. Und seitdem schaukeln die venezianischen Gondeln nicht nur auf den Kanälen und der Lagune, sondern - getragen von der Italien-Sehnsucht und der blühenden Phantasie einer Berliner Bäckermeisterstochter - auch auf den Meereswellen der an den Badestrand des Lido wogenden Adria.
     
In der Nachkriegszeit, als der Schwarzmarkt blühte und jeder von Tauschgeschäften lebte, trieb auch Gerhard Winkler Handel. Er hatte gerade einen Rucksack voll Fondants erstanden und fuhr mit dem Fahrstuhl zu seiner Wohnung. Im Lift stand eine junge Frau, und die beiden kamen ins Gespräch. Als sie hörte, daß er Fondants in seinem Rucksack habe, wollte sie gern ein Viertelpfund davon erwerben. Er lehnte ab, da er die Ware nur auf dem Tauschwege und nur kartonweise abgeben könne. So lernte Gerhard Winkler seine spätere Frau Traudl kennen.
 

Foto: R.Schuricke, M.Hain, G.Winkler

Mit Magda Hain und Rudi Schuricke am Schliersee

Magda Hain und Rudi Schuricke waren zu Besuch in Gerhard Winklers Haus am Schliersee. Es war herrliches Sommerwetter, und die Gastgeberin Traudl Winkler lud die beiden berühmten Interpreten von Gerhard Winklers Liedern zu einer Kahnfahrt ein. Vom See aus hatten sie dann einen eindrucksvollen Blick auf den Landsitz des Komponisten inmitten der bayrischen Berge. Rudi Schuricke betrachtete sinnend die "Winkler-Alm" und sagte dann zu Magda Hain: "Das hat er doch eigentlich alles nur uns zu verdanken!"  
Gerhard Winklers Mutter hörte 1952 im Rundfunk das von Friedel Hensch und den Cypris gesungene Lied "Wir sind füreinander bestimmt". Da ihr Sohn gerade kurz vor seiner zweiten Ehe stand und sie der festen Überzeugung war, daß er in seiner Traudl eine ideale Frau gefunden hatte, wollte sie das Lied den beiden schenken. Sie schrieb an den Rundfunk und erhielt die Adresse des Verlages. Als dann die Noten bei ihr eintrafen, mußte sie verblüfft feststellen, daß ihr Sohn der Komponist dieses Liedes war.

Von dem Showmaster Peter Frankenfeld befragt, was er selbst für seine beste Komposition halte, zog Gerhard Winkler ein Foto seines zweijährigen Söhnchens Hans Andreas aus der Brieftasche und erklärte stolz: "Das hier ist meine beste Komposition!"

 

Weinetiket
  Angeregt von dem Text des berühmten Gerhard-Winkler-Liedes "Wenn in Florenz die Rosen blühn, möchte" ich so gern gen Süden ziehn ..." unternahm eine alte Dame im Hochsommer eine Reise nach Florenz. Hinterher schrieb sie an den Komponisten einen entrüsteten Brief, in dem sie sich bitter beklagte, wie beschwerlich diese Reise gewesen sei: Zugverspätungen, überfüllte Hotels, dazu eine unerträgliche Hitze - und weit und breit keine blühenden Rosen!

"Nicolo, Nicolo, Nicolino heißt der Wirt der Taverne von Padua; und ich trinke bei ihm meinen Vino, komm' im Urlaub ich mal nach Italia ...", so beginnt ein erfolgreicher Italien-Schlager von Gerhard Winkler, der Mitte der fünfziger Jahre überall in Deutschland gesungen wurde. Zu dieser Zeit unternahm der Kölner Komponist Gerhard Jussenhoven mit seiner Frau eine Italien-Reise, die ihn auch nach Padua führte. Von dort aus schickte er an Gerhard Winkler ein Telegramm mit folgendem Wortlaut: "Sind seit gestern in Padua - Stop - Suchen verzweifelt die Taverne von Nicolo, Nicolo, Nicolino - Stop - Ist hier völlig unbekannt - Stop - Erbitten eiligst genaue Adresse!"

 

 
   

Da Gerhard Winkler die meisten seiner erfolgreichen Italien-Lieder komponierte, bevor er das Land selbst kennengelernt hatte, so wie Karl May seine Erlebnisse unter den Indianern geschildert hat, ohne zu dieser Zeit Amerika und die Indianer aus eigener Anschauung zu kennen, wurde Gerhard Winkler von einem Journalisten einmal als "Karl May des Schlagers" bezeichnet.

 

Im Jahre 1975 erklangen in einer Fernsehsendung mit dem Titel "O mia bella Napoli" Gerhard Winklers bekannte Lieder "O mia bella Napoli" und "In Santa Lucia", ohne daß der Komponist erwähnt wurde. Unter anderem Namen schrieb Traudl Winkler an das Zweite Deutsche Fernsehen und erkundigte sich, von wem diese beiden Lieder komponiert wurden oder ob es sich vielleicht um Volkslieder handle. Daraufhin erhielt sie einen am 10. November 1975 datierten Brief der "Programmredaktion Kultur", in dem es voller Naivität heißt: "Santa Lucia" und 'O mia bella Napoli" sind keine Volkslieder - sie sind von Komponisten aus dem 19. Jahrhundert geschrieben.

 

 
Zeichnung: Unter Kollegen
   

In einem Zeitschriftenartikel über Robert Stolz wurde unter seinen berühmt gewordenen Kompositionen auch das Lied "O mia bella Napoli" genannt. Daraufhin erhielt die Redaktion eine empörte Leserzuschrift, daß dieses Lied nicht von Robert Stolz, sondern 1937 von Gerhard Winkler komponiert worden sei. Die Redaktion antwortet: Das mag wohl stimmen, aber Robert Stolz hat sein "O mia bella Napoli" schon 1931, also lange vor Gerhard Winkler geschrieben. Tatsächlich gibt es in der Operette "Venus in Seide" von Robert Stolz ein Lied mit dem Titel "O mia bella Napoli", es erreichte jedoch nicht die große Popularität von Gerhard Winklers Komposition.

 

Wie Richard Strauss und Paul Lincke, so war auch Gerhard Winkler ein passionierter Skatspieler. Um sich zu entspannen, ging er häufig mit Freunden zu Skatabenden und kam oft erst spät in der Nacht nach Hause zurück. Traudl, die dann lange auf die Rückkehr ihres Mannes warten mußte, war davon nicht gerade begeistert, und meinte einmal, sie werde sich, wenn das so weiterginge, einen Hausfreund anschaffen. Gerhard Winkler stutzte einen Augenblick und sagte dann schmunzelnd: "Aber bitte keinen aus unsrer Skatrunde!"    
  Traudl und Gerhard Winkler machten einen kleinen Urlaub im Ostseebad Travemünde. Dort las Gerhard Winkler die Ankündigung eines Preis-Skats. Als leidenschaftlicher Skatspieler ging er selbstverständlich hin und kam nach einigen Stunden mit einem riesigen Räucheraal ins Hotel zurück. Traudl Winkler war ganz stolz auf ihren "Skatkönig", bis sie eines Tages erfuhr, daß damals insgesamt zwölf Preise ausgesetzt waren und, weil es im ganzen nur zwölf Teilnehmer gegeben hatte, jeder einen der zwölf herrlichen Räucheraale bekommen hatte.  

Über Gerhard Winkler, der viele seiner Italien-Lieder schrieb, bevor er dieses Land je gesehen hatte, erzählten sich seine Skatfreunde eine freilich erfundene Geschichte: Um die von ihm so erfolgreich besungene Insel Capri endlich kennenzulernen, hatte sich Gerhard Winkler zu einer Italien-Reise aufgemacht. In Neapel bestieg er das Schiff nach Capri. Als begeisterter Skatspieler vertrieb er sich die Zeit der Überfahrt mit gleichgesinnten deutschen Passagieren. Nachdem der Dampfer im Hafen angelegt hatte, rief einer: "Herr Winkler, die Capri-Fischer erwarten Sie!" Der in das Skatspiel versunkene Gerhard Winkler drehte sich nicht einmal um und brummte nur: "Aber doch nicht jetzt, wo ich so ein gutes Blatt habe!"

 

   
1956 wollte eine deutsche Filmgesellschaft unter dem Titel "Die Stimme der Sehnsucht" auf der Insel Capri einen Musikfilm mit Rudolf Schock drehen und beauftragte Gerhard Winkler, für diesen Film einige italienische Lieder zu schreiben. Gerhard Winkler, der 1953 erstmals und nur für zwei Tage auf Capri gewesen war, sah eine Chance, die von ihm so erfolgreich besungene Insel genauer kennenzulernen. Er bat deshalb die Filmgesellschaft, ihm zur Anregung seiner musikalischen Inspiration eine Italien-Reise zu finanzieren. Der Produzent lehnte ab und erklärte kategorisch: "Völlig überflüssig diese Reise! Winkler, Sie schreiben viel bessere Italien-Lieder, wenn Sie hier in Berlin bleiben!"  

Stimme der Sehnsucht - Titelblatt

 

In einem Hotel in Kassel wurde Gerhard Winkler um eine Eintragung in das Gästebuch gebeten. Er blätterte in dem Buch und stellte fest, daß der letzte Eintrag auf einer rechten Seite ganz oben von Konrad Adenauer stammte. Gerhard Winkler dachte einen Augenblick nach, dann ließ er die ganze Seite frei und schrieb an den unteren Rand: "Mit gebührendem Abstand - Gerhard Winkler".    
  Vor einem abendlichen Festessen der GEMA begrüßte Gerhard Winkler seinen wohlbeleibten Komponistenkollegen Ludwig Schmidseder mit den Worten: "Du siehst aus, als ob du schon gegessen hättest."
Als Gerhard Winkler im Stadttheater von Sankt Gallen eine Orchesterprobe seiner Operette "Die ideale Geliebte" leitete, war er mit den Hornisten unzufrieden. Er klopfte ab und sagte: "Die Hörner sind zu leise, ich höre fast gar nichts. Bitte, meine Herren, blasen Sie lauter!" Darauf erhob sich einer der Hornisten und meinte: "Wenn wir lauter blasen könnten, Herr Winkler, dann säßen wir nicht hier!"    
     
  In Bad Mergentheim hörte Gerhard Winkler beim Kurkonzert ein Stück, das ihm besonders gut gefiel. Er ging zum Orchester und erkundigte sich, was da gerade gespielt worden sei. Der Kapellmeister war verblüfft und antwortete dann: "Aber Herr Winkler, das war doch eine Komposition von Ihnen!"
Ein bekannter Musikproduzent war ständig auf der Suche nach neuen Liedern für Peter Alexander und sprach darüber auch mit dem Musikverleger Richard Birnbach. Der Verleger hatte gerade ein neues Lied von Gerhard Winkler zum Druck angenommen und meinte deshalb, dafür wäre doch Winkler der richtige Mann. Der Produzent winkte aber ab und meinte nur: "Was wollen Sie mit dem, der ist doch längst ausgeschrieben!" Richard Birnbach, der von der Qualität des neuen Gerhard-Winkler-Liedes fest überzeugt war, gab aber nicht auf. Wenig später schickte er ohne Nennung des Komponisten das Lied mit dem Hinweis an den Produzenten, daß er inzwischen etwas Geeignetes gefunden habe. Peter Alexander war von dem Lied begeistert, und unter dem Titel "Schenk mir ein Bild von dir" wurde es ein großer Erfolg für den Sänger und für Gerhard Winkler.    

 

Als Herausgeber der vorliegenden Dokumentation stieß ich bei der Durchsicht der Druckausgaben auf Gerhard Winklers Slowfox "Mondlicht" aus dem Jahre 1936 und intonierte dabei den heute weltbekannten Song "Memory" aus dem Musical "Cats" von Andrew Lloyd Webber mit dem deutschen Text von Michael Kunze: "Mondlicht, schau hinauf in das Mondlicht ...". Gerhard Riethmüller, der gerade intensiv eine Orchesterpartitur von Gerhard Winkler las, fuhr erschreckt hoch: "Was, das hat Gerhard Winkler schon geschrieben?" und meinte dann lachend: "Das gäbe ja einen saftigen Plagiats-Prozeß mit Webber!" Ein andermal spöttelte ich über die Banalität der vielen pseudovolkstümlichen Titel in Gerhard Winklers Schaffen aus den fünfziger Jahren. Ich zog einige Titel zusammen und bat Traudl Winkler, doch gelegentlich einmal bei der GEMA anzufragen, wer das Lied komponiert habe: "Der alte Kapitän hat an der scharfen Ecke von St. Pauli bei der lustigen Wirtin vom Goldenen Roß unterm blühenden Wacholderstrauch von der Nachtigall vom Zillertal das Jodeln gelernt". Amüsiert ging Traudl Winkler auf den Spaß ein - die Antwort der GEMA steht noch aus.

 

 

Die "Capri-Fischer" im Spiegel der Nachkriegspresse

Ein Ohrwurm

Gegenwärtig können sie einem überall begegnen. In jedem Haus, jeder Straße, an Straßenbahnhaltestellen, Bahnhöfen, in Warteräumen, Zügen und Autobussen. Mit direkt hundertprozentiger Sicherheit allerdings kann man ihre Bekanntschaft in öffentlichen Gärten und Anlagen machen. Es ist zwar eine etwas merkwürdige Sache mit ihnen und schwer zu definieren. Zuerst gefallen sie durch ihre melodiöse Grazie, dann entdeckt man einen Schuß südlichen Sentiments, dessen man leicht überdrüssig wird, und schließlich wendet man sich fast brüsk von ihnen ab, denn man hat von diesem leicht süßlichen Getändel genug. Das heißt, man möchte sich abwenden, man kann es aber schon nicht mehr so energisch, wie man es gerne täte. Denn jetzt beginnen sie ihre Verfolgung und - das wird mir jeder hinterrücks durch Radio oder Stimmungskapelle von ihnen Überfallene bestätigen - jetzt stellt sich heraus, daß Gerhard Winklers "Capri-Fischer" trotz Liebesseligkeit und Mittelmeer-Melancholie unerhört zähe Gesellen sind. Sie bekommen es sogar fertig, die ernstesten Gedankengänge mit ihrer Aufdringlichkeit zu stören, und ehe man es selbst richtig begreift, erfährt schon die mehr oder weniger davon beglückte Umgebung, daß "Bella, bella, bella Marie" auch in diesem Falle wieder einmal gesiegt hat. Doch Spaß beiseite: Es ist etwas Eigenartiges um Schlagerlieder im allgemeinen und um dieses im besonderen. Die erste Jugend hat es nun zwar schon hinter sich, kleine musikalisch-kosmetische Korrekturen aber scheinen sein Dasein immer wieder zu verlängern, und eine Tanzveranstaltung ohne zwölfmaliges Wiederholen mit allen Variationen ist schon gar nicht mehr zu denken. Wenn es nicht gerade in der künftigen Sommerhitze in trockenen Kehlen verdurstet, ist demnach zu erwarten, daß wir uns diesen anspruchslosen Singsang noch nächsten Winter in die Ohren trillern werden ...

Die Rheinpfalz 23. 4. 1947

Textblatt Capri-Fischer
 

 

Die "Capri-Fischer" im Landessender Dresden

In bunter Vielfalt regnet es Tag für Tag Zuschriften an das Wunschprogramm der Dresdner Sendefolge "Was sich Hörer wünschen", die von vielen schon selbstverständlich als "Wunschkonzert für Kriegsgefangene" bezeichnet wird. Wer einmal die zahllosen Briefe gelesen hat, in denen sich die deutschen Gefangenen vertrauensvoll an "ihren Sender Dresden" wenden, der weiß, daß es keine bessere Brücke zwischen den Gefangenen und der Heimat geben kann als jene Sendereihe. Die Volkssolidarität konnte durch sie schon manche wertvolle Hilfe leisten. Sie alle, aus Berlin, Bremen, Hannover und Köln, aus München und Heidelberg, die der Krieg nach Amerika, Frankreich, Italien und Ägypten, Livorno und Northanks verstreut hat, warten auf einen Heimatgruß aus Dresden. Und sie wünschen sich noch immer und immer noch die "Capri-Fischer", "La Paloma" oder "Heimat, du Inbegriff der Liebe", weil eben diese bei uns mit manchem Achselzucken betrachteten Lieder drüben für sie eine Bedeutung haben. Wenn es die Fülle der Wünsche auch nicht mehr erlaubt, einzelne Namen zu nennen, so sollen doch die Wunschmelodien eine Verbindung bleiben von der Heimat zu ihren gefangenen Söhnen.

Die Union Dresden, 2. 4. 1947

 

Gewiß sind die "Capri-Fischer" nicht Gerhard Winklers beste Komposition, aber ohne Zweifel seine populärste. Die Fülle von Karikaturen, zeitgenössischen Glossen und Presseberichten beweist, daß dieser viel gepriesene und oft gescholtene Schlager nach dem Kriege eine Volkstümlichkeit besaß, die wir uns heute kaum noch vorstellen können. Nach Gerhard Winklers "Capri-Fischern" hat wohl kein deutscher Schlager je wieder eine so weltweite und über Jahrzehnte anhaltende Resonanz gehabt. Wie beliebt der Schlager von den Capri-Fischern nach dem Kriege war und wie begehrt vor allem die Noten und die Schallplattenaufnahmen waren, beweisen die unzähligen Druckausgaben und Raubdrucke sowie die hohen Schallplattenauflagen dieses Liedes in einer Zeit, in der Papier und Schellack zu den Mangelwaren gehörten. So erklärten vor dem Landgericht in Hannover drei Diebe, die 1948 Tausende fabrikneuer "Capri-Fischer"-Schallplatten gestohlen hatten, daß speziell diese Platten die begehrtesten waren und sich mühelos teuer verkaufen ließen. Die Diebe wurden im Januar 1949 zu Gefängnisstrafen von neun bis einundzwanzig Monaten verurteilt.

 

 

 

Nach dem Kriege bei einer Weihnachtsfeier für Berliner Kinder forderte der Conferencier Willi Schaeffers die Jungen und Mädchen auf, zum Abschluß gemeinsam ein Lied zu singen. Er überließ ihnen die Wahl, welches Lied sie singen wollten, und rechnete mit einem der bekannten Weihnachtslieder. Stattdessen sangen die Kinder spontan: "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ...".

 
In den ersten Nachkriegsjahren wollte Gerhard Winkler mit seinem Textdichter Leo Breiten in Berlin einen Freund besuchen, der in einem Hinterhaus wohnte. Da es dort zwei Aufgänge gab und die beiden nicht wußten, welches der richtige war, wollten sie den Freund ans Fenster locken und sangen deshalb lauthals "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ...". Daraufhin gingen überall die Fenster auf. Man hielt die beiden für Bettler und warf ihnen Geld herab. Auch der Freund erschien auf seinem Balkon im vierten Stock, und so wußten die beiden, welchen Aufgang sie benutzen mußten. Sie zählten die Groschen - es war eine Mark fünfunddreißig - und freuten sich noch lange über ihren unerwarteten Erfolg als Berliner Hinterhofsänger.  
Karikatur zu Capri-Fischer

 

Lustige Straßenmusikanten

Zwei abenteuerliche, leicht abgerissene Gestalten liegen im Celtistunnel. Die Rücken lehnen sie gegen die gekachelte Wand, die Beine strecken sie so lang wie möglich über den Gehsteig. Auch wer nicht gerade darüber stolpert, kann sie schwer übersehen. Wer sie dennoch übersieht, kann sie nicht überhören. Die beiden machen nämlich Musik mittels Geige und Akkordeon. Nicht einmal schlechte Musik. Und womit versuchen sie das Herz der Vorübergehenden zu rühren? Spielen sie schwermütige Melodien, sentimentale Lieder, mitleiderregende Serenaden? Nichts von alledem. Sie spielen "Das war in Schöneberg im Monat Mai", die "Böhmische Polka" und sie werfen in weitem Bogen die Netze der "Capri-Fischer" aus. Die beiden scheinen keine schlechten Psychologen zu sein. Sie wissen wahrscheinlich aus langer Erfahrung, daß gute Laune das Geld lockert. Und die Fünfer und Zehner klimpern in die zerknautschte Soldatenmütze ...

Nürnberger Nachrichten 7. 5. 1947

 

Über eine Rundfunk-Matinee zu Ehren der inzwischen legendären Berliner Trümmerfrauen berichtete der "Nachtexpreß" vom 30. 7. 1947:

Peter Huchel, der stellvertretende Intendant, und Nikolaus Bernhard vom FDGB begrüßten die fleißigen Bauarbeiterinnen, die nun ihrerseits einmal "erbaut" werden sollten. Anfangs mit "Lohengrin", "Ave Maria", "Tom, der Reimer" und "Am Brunnen vor dem Tore" - es war fast zu feierlich. Später wurde es bunter. Mit Schwung leitete Otto Dobrindt das Große Unterhaltungsorchester. Als Höhepunkt der Veranstaltung trat Gerhard Winkler ans Pult und dirigierte seine umjubelten "Capri-Fischer".

   

 

"Capri-Fischer" werden Export

Die "Capri-Fischer" von Gerhard Winkler und "Zwei Gitarren am Meer" von Franz Funk sind die erfolgreichsten deutschen Schlager aus den letzten Jahren, erklärte der fast täglich über den amerikanischen Armeerundfunk (AFN) mit seiner Musik zu hörende amerikanische Komponist Julius Dikson in einem Interview. Die Amerikaner in Deutschland seien begeistert von diesen beiden Schlagern. Er beabsichtige, diese Lieder einem der größten amerikanischen Musikverleger nach New York zu schicken, um so die moderne deutsche Unterhaltungsmusik in Amerika wieder zur Geltung zu bringen.

Der Neue Tag 10. 3. 1948

   

Karikatur zu Capri-Fischer

 

"Telegraf"-Reporter als Berliner Leierkastenmann

Wenn die erste warme Frühlingssonne die Kinder mit Kreisel und Roller auf die Straße lockt, wenn die Berliner Hausfrauen beim Reinemachen und Geschirraufwaschen die neusten Schlager singen, daß es laut über die Höfe schallt, darf eine alte Berliner Type nicht fehlen. Wer kennt ihn nicht, den alten Leierkastenmann oder - wie er sich selber nennt - den Drehorgelspieler? Ewig jung sind seine Walzen! Wer hat das Lied von den Capri-Fischern nicht schon gehört? Selbst Großmutter greift unter die Schürze, zückt ihr Portemonnaie, nimmt von ihrer kargen Monatsrente einen funkelnden Sechser und wirft ihn, gut verpackt, dem Leierkastenmann zu, der seinen Gesang mit den Worten: "Vielen Dank, die Herrschaften!" unterbricht. Der Leierkastenmann bringt Freude auf die dunkelsten Höfe. Einer dieser Leierkastenmänner war für einen Tag auch ich. Man lieh mir eine Drehorgel, ich ließ mir einen Bart wachsen und zog los. Kinder riefen: "Onkel, kommste uff unsern Hof?" Der "Onkel" hatte aber noch Hemmungen zu Überwinden. In der Eulerstraße war es dann endlich soweit. Die Schiebermütze tiefer ins Gesicht gezogen, die blaue Brille zurechtgerückt und hinein in das erste Haus! Erschreckend laut tönte das Rollen der Eisenräder im Hausflur. Fröhliche Kinderstimmen, und dann stand ich auf dem Hof. Fast zu grell schienen mir die ersten Töne der "Capri-Fischer". Aber dann drehte ich munter drauf los und hatte sogar bald das richtige Tempo heraus. Im vierten Stock baumelten drei Paar lange Unterhosen in der Sonne. Einige verpappte Fenster öffneten sich, lachende Gesichter erschienen, und Kinder tanzten nach dem Tango Gerhard Winklers. In den engen, düsteren Hinterhof kam plötzlich Leben. Die ersten in Papier gewickelten Münzen prasselten aufs Pflaster. Eine dankbare Verbeugung meinerseits folgte, und ich murmelte in meinen zwei Tage alten Bart: "Herzlichen Dank, die Herrschaften!"

Telegraf Berlin, 25. 4. 1948

Aus der damaligen Beliebtheit der "Capri-Fischer" erklärt sich auch ihre kuriose Verwendung in einer Nummer im Programm des im September 1949 neueröffneten Berliner Friedrichstadt-Palastes. Dieses traditionsreiche Variete- und Revuetheater brachte in seinem bunten Programm mit Lotte Werkmeister, Udo Vietz, Maria Beling und Adi Apelt eine Szene mit dem in Berlin sehr populären "Stralauer Fischzug". Zu diesem folkloristischen Alt-Berliner Brauch erklangen als musikalische Untermalung Gerhard Winklers "Capri-Fischer". Mit Recht fand der Berichterstatter der Berliner Zeitung "Tribüne" eine solche Kombination "total deplaciert".    

 

 

Die weltweite Popularität der "Capri-Fischer" hatte aber auch ihre positiven Seiten. Mit diesem Lied überwand Gerhard Winkler für die deutsche Unterhaltungsmusik im Ausland viele durch Nationalsozialismus und Weltkrieg bedingte Ressentiments, übersprang Grenzen, öffnete Herzen und schuf nicht zuletzt auch wichtige Voraussetzungen für neue kulturelle Beziehungen und wirtschaftliche Kontakte. So heißt es in einer Berliner Zeitung vom Dezember 1951 in Würdigung der Verdienste von Gerhard Winklers Schlagerschaffen:  
 

 

Caprifischer brach Blockade

Deutsche Schlager wandern wieder um die Welt

Der deutsche Schlager, für den die Grenzen jahrelang gesperrt waren, ist nun wieder in vielen Ländern zu Hause. Das verriegelte Tor zur Welt wieder geöffnet zu haben, ist nicht zuletzt auch das Verdienst des in Berlin beheimateten Musikverlegers Peter Schaef-fers, der Gerhard Winklers "Capri-Fischer" druckte. Den dichten Sperrgürtel einer ideellen Blockade durchbrachen als erste die "Capri-Fischer". Mit frischem Berliner Wind in den Segeln gingen sie zunächst in Großbritannien an Land und von dort auf große Fahrt nach Amerika. Damit war das kompakte Eis der Ablehnung gebrochen. Millionen in aller Welt summten und sangen die auf Tausenden von Schallplatten verbreitete Melodie von Gerhard Winkler.

 
 

Welches war der erfolgreichste deutsche Nachkriegsschlager? Nun, wer es aus dem Stegreif nicht weiß, dem wird die GEMA offizielle Auskunft geben können. Das ist nämlich jene Gesellschaft, die über die Aufführungsrechte der Komponisten wacht und dafür sorgt, daß ihnen ihre Tantiemen zufließen. Danach flössen sie am reichlichsten bei den "Capri-Fischern". Der Berliner Komponist Gerhard Winkler durfte zufrieden sein. Daß man ihm aber noch dazu auf der von ihm besungenen Insel ein Denkmal setzte, ist unter Schlagerkomponisten ein Novum, und niemand wird darüber mehr überrascht gewesen sein als der Schöpfer dieser Melodie selbst. Doch es steht nun einmal - zwischen Capri und Anacapri, unterhalb von San Michele - und die Inschrift lautet: "Dem großen Propagandisten unserer Insel Die dankbaren Capri-Fischer" Auch wenn es sich um einen Touristenscherz handelt, so müßten es die Neapolitaner den Capri-Fischern nachtun, denn ihre Stadt hat Gerhard Winkler, der Sänger südlicher Sehnsucht, in zwei bekannten Kompositionen ebenfalls besungen: Vor anderthalb Jahrzehnten stand das "Neapolitanische Ständchen" auf dem Programm aller Unterhaltungskapellen der Welt; und das Lied "O mia bella Napoli" trat nicht minder erfolgreich die Reise durch die Welt an. Und auch die toskanischen Weinbauern hätten alle Ursache, auf einem ihrer Berge seine Büste aufzustellen, denn Gerhard Winklers "Chianti-Lied" wird noch heute gesungen und dürfte mehr zum Ruhm dieses italienischen Rotweins beigetragen haben als alle moderne Werbung.

Hamburger Abendblatt 10. 7. 1951

Karikatur zu Capri-Fischer